Als mein Sohn nach 38 Wochen Risikoschwangerschaft voller Unsicherheiten per geplantem Kaiserschnitt zur Welt kam, war ich nur froh, dass diese Schwangerschaft jetzt vorbei war und dass wir sie alle überlebt hatten. Als das Kind aus mir herausgehoben wurde, hörte ich es nur ganz kurz etwas murren, danach war es still im Operationssaal des kleinen Regionalspitals. Mucksmäuschenstill - nur der Monitor mit meiner Herzfrequenz piepste vor sich hin. Ich schaute meinen Mann an und wusste, etwas stimmte nicht. Daraufhin hörte ich ein aufgeregtes Geflüster und die Hebamme sprang an uns vorbei - sie sei gleich mit dem Baby bei uns. Ich sagte zu meinem Mann: «Etwas stimmt nicht mit dem Baby». Ich war mir sicher, dass es keinen Kopf hatte (heute muss ich über meinen Gedanken lachen, aber im Operationssaal liegend mit aufgeschnittener Bauchdecke und im Hormonrausch, war das mein einziger und ernsthafter Gedanke). Nach einer gefühlten Ewigkeit, wahrscheinlich nach ca. einer Minute, war die Hebamme mit unserem Baby endlich wieder da. Sie sagte: «Schaut, euer Schatz hat eine ganz spezielle Lippe.» Ich schaute meinen Schatz an und dachte überrascht: «Ach so, nur das.» Ich war so sehr erleichtert, dass er da war, dass er lebte und dass er einen Kopf hatte, dass er eine spezielle Lippe hatte, war mir komplett egal. Vor dem Spitalaustritt sagte die gleiche Hebamme zu mir, dass mein Junge es vielleicht nicht immer ganz einfach im Leben haben wird und ich dachte nur, wer hat es denn immer ganz einfach im Leben? Das Stillen klappte nicht. Die vielen gutgemeinten Tipps von den Hebammen haben mich mehr verunsichert, als dass sie mir geholfen hätten. Nicht selten hatte man auch die Lippenspalte für das Nichtgelingen verantwortlich gemacht… Mit dieser «Ausrede» war ich happy. Ich war und bin mir heute noch sicher, dem Baby war es ein bisschen zu anstrengend, genügend fest zu saugen und mir war das Stillen zu wenig wichtig, deshalb hatten wir das Thema rasch abgeschlossen. Wenn Leute mein Baby anschauten und nicht recht wussten, was sie sagen sollten, war ich immer froh, wenn auch noch ein Kind dabei war. Die Kinder hatten immer direkt gefragt, was das Baby an der Lippe habe und ich konnte erklären, dass sie während der Schwangerschaft nicht richtig zusammengewachsen war und dass die Spalte bald mit einer Operation verschlossen werden konnte. Wenn mein Mann und ich uns heute Bilder von unserem Baby mit Lippenspalte ansehen, verstehen wir schon, dass die Leute vielleicht im ersten Moment erschraken und nicht gleich wussten, was sagen. Wir staunen heute, wie wenig uns dieser Makel aufgefallen war. Wir hatten die Spalte gar nicht wahrgenommen. Mit dem Schicksal unseres Sohnes habe ich nie gehadert. Ich habe nie gegoogelt, wer oder was schuld daran sein könnte und ich habe mir noch nie überlegt, was wäre wenn wie wo warum…