Sarah ist Mutter von zwei Kindern. Maxime hat eine Lippen-Kiefer-Gaumenspalte, seine Schwester Amélie ist mit einer partiellen Lippenspalte zur Welt gekommen. Hier erzählt sie, wie sie damit umgegangen ist und wie sie anderen betroffenen Müttern Mut machen möchte.

Vom Schockzustand …

Im November 2018 erfuhren wir bei einem Ultraschalltermin von unserer Gynäkologin, dass unser Sohn eine Lippen-Kiefer-Gaumenspalte hat. Dies war wie ein Schlag ins Gesicht und warf mich sehr aus der Bahn. Ich war damals im 6. Schwangerschaftsmonat. Meine ersten Gedanken waren stark geprägt von Schuldgefühlen. Hatte ich etwas falsch gemacht während der Schwangerschaft? Ich schämte mich. Deshalb fiel es mir schwer, mit anderen darüber zu reden und meine Schuldgefühle nahmen weiter zu. Dazu kamen emotionale Schwankungen, die von der Schwangerschaft ausgelöst wurden. Dies alles zusammen war für mich sehr schlimm. Leider wusste ich damals noch nicht, dass wahrscheinlich die Konstellation der Gene von uns Eltern dieses Geburtsgebrechen ausgelöst hatte und meine Schuldgefühle deshalb gar nicht angebracht waren! Es ist mir ein grosses Herzensanliegen, diese Erfahrung mit werdenden Müttern nach einer LKGS Diagnose zu teilen. Ein weiterer erster Gedanke war, ob ich das Kind überhaupt schön finden und lieben werde. Ich suchte Fotos im Internet und erschrak über das Aussehen dieser Babys. Auch hier ist mir wichtig, betroffenen werdenden Müttern solche Ängste zu nehmen. Denn als ich meinen Sohn Maxime nach der Geburt in den Armen hielt, zeigte sich: All die vorgängigen Sorgen waren sooooo unbegründet, die Spalte fiel mir kaum auf und es war für mich das wunderschönste Baby auf der Welt! Perfekt so wie es war und ich verspürte eine so unfassbar grosse Liebe – es war Liebe auf den ersten Blick.

… zurück ins Handeln

Nach der Diagnose war ich auch total überfordert. Wie geht es wohl weiter? Schaffen wir das? Was muss ich alles beachten? Wie wird das Umfeld reagieren? Wo werde ich gebären können und wird meine Hebamme mich und das Baby überhaupt nach der Geburt betreuen? Das waren nur einige meiner Sorgen, die sich breit machten. Glücklicherweise kannte meine Gynäkologin einen Neonatologisten, dessen Kind ebenfalls eine Lippen-Kiefer-Gaumenspalte hat. Sie vernetzte uns mit ihm und auch mit einer anderen Gynäkologin. Ihre Zweitmeinung war für uns sehr wichtig und gab uns Sicherheit. Der Neonatologist erzählte uns viel über LKGS und vermittelte uns an eine Spezialistin. Diese beantwortete all unsere Fragen, klärte uns über das Vorgehen auf und zeigte uns Vorher-Nachher Bilder von betroffenen Kindern. Für uns war das äusserst wertvoll, denn wir erkannten wie sauber heute operiert wird und dass man nachher kaum noch etwas sieht. Mir war ein grosses Anliegen die Geschichten anderer betroffener Mütter kennenzulernen. Noch während meiner Schwangerschaft, lernte ich über eine Facebook-Gruppe Betroffene kennen. Inzwischen bin ich via Whatsapp-Gruppe und Facebook-Gruppen bestens vernetzt mit anderen Betroffenen in der Schweiz und in Nachbarsländern. Diese Kontakte mit betroffenen Müttern sind für mich bis heute eine grosse Hilfe und wir unterstützen uns gegenseitig enorm. Das wünsche ich allen frischbackenen Mamis mit betroffenen Babys und dafür möchte ich mich mit meinen Erfahrungen einsetzen! Niemand soll sich allein fühlen. Nach der Geburt entschieden wir uns für Geburtskärtli mit Foto. Wir wollten offen mit dem Thema umgehen und unser Umfeld einbeziehen. Also verwendeten wir Fotos, auf denen die Spalte zu sehen war. Die Reaktionen im Umfeld waren sehr positiv und ich lege Betroffenen ans Herz, auch offen zu kommunizieren.

Trinken im Fokus

Natürlich warf die Diagnose meine ganzen Geburtspläne über den Haufen. Ich musste ein neues und für ein Baby mit Lippen-Kiefer-Gaumenspalte geeignetes Spital mit Neonatologie suchen. Denn dort musste kurz nach der Geburt ein Gaumenabdruck gemacht werden und eine Platte für den Gaumen angefertigt werden. Nur so war das Trinken nach der Geburt möglich. Später musste das Plättli regelmässig angepasst werden. Mir war es enorm wichtig, mein Kind stillen zu können. Ich konnte erst nach der Geburt akzeptieren, dass dies nicht sinnvoll war. Denn es zeigte sich rasch, dass Maxime viel zu viel Energie brauchte, um auch nur einen kleinen Schluck Milch zu erhalten. So fütterte ich ihn zuerst per Löffeli mit Kolostrum (Erstmilch), das ich vor der Geburt ausgestrichen hatte. Später konnte ich Maxime glücklicherweise komplett mit abgepumpter Muttermilch ernähren. Kindern mit Gaumenspalte fällt das Trinken schwerer, weil sie kein Vakuum in der Mundhöhle bilden können; eine Gaumenplatte mildert diese Problem, behebt es aber nicht vollständig. Je nach Kind und Gesamtsituation dauert es Tage bis Wochen, bis die nötigen Trinkmengen in normaler Zeit bewältigt werden. Wir brauchten anfangs sehr viel Zeit, um Maxime mit der nötigen Trinkmenge zu versorgen. Dieses Vorgehen empfehle ich gerne weiter, auch wenn das Abpumpen nicht immer leicht war und nicht unterschätzt werden sollte. Falls es mit dem Abpumpen nicht so gut funktionieren sollte wie bei mir, gibt es guten und muttermilchähnlichen Pulvermilch-Ersatz. Erzwungenes und mühsames Abpumpen hilft dem Kind wenig, ein zufriedenes Mami hingegen sehr.

Operationen (OP) durchstehen

Mit sechs Monaten hatte Maxime seine erste OP, den Lippenverschluss. Komische Gefühle machten sich in mir breit und ich vermisste seine Spalte bereits, bevor überhaupt operiert wurde. Ich fragte mich, ob er danach immer noch so süss sein würde wie vorher. Die Angst war wieder unbegründet: Er war nach der OP noch genau gleich mein Maxime wie vorher und er war auch mit verschlossener Lippe für mich das wunderschönste Baby auf der Welt. Mit 1,5 Jahren folgten dann der Weichgaumenverschluss, mit 3,5 Jahren der Hartgaumenverschluss und mit knapp 6 Jahren der Kieferverschluss. Die OPs waren für uns herausfordernd. Ein schwieriger Moment war jedes Mal, wenn wir Maxime vor der OP in der Narkose zurücklassen mussten. Wir wussten: Er war bei einem guten Chirurgen und in guten Händen. Trotzdem war das lange Warten während der OPs kaum auszuhalten. Ich war jedes Mal erleichtert, wenn ich meinen kleinen Schatz wieder im Aufwachraum entgegennehmen konnte. Zu den 3-5-tägigen Spitalaufenthalten kann ich anderen Eltern nur ans Herz legen sich abzuwechseln, um so zwischendurch durchatmen zu können, denn die Zeit ist intensiv. Aber: Es ist machbar! Und mit jedem Mal wird man geübter und gelassener.

Und dann kam Amélie

Als Maxime etwas mehr als 2,5 Jahre alt war, kam seine Schwester Amélie mit einer partiellen Lippenspalte zur Welt. Im Ultraschall war diese nicht sichtbar gewesen. Bei Amélie war vieles einfacher und wir nahmen es gelassener. Ich wusste wie vorzugehen ist, an wen ich mich wenden muss und was uns erwartet. Die Behandlungen waren viel weniger intensiv als bei Maxime, ohne Neonatologie und engmaschige Kontrollen nach der Geburt und mit nur einer OP. Auch Stillen war gut möglich. Jetzt war ich auch sicher, dass wohl genetische Gründe für die Geburtsgebrechen meiner Kinder vorliegen. Denn in der zweiten Schwangerschaft hatte ich mich erst recht bemüht, alles perfekt zu machen.

Es gibt viel zu tun …

Heute bin ich ein glückliches Mami. Meine Kinder sind für mich perfekt, wie sie sind und ich liebe sie von ganzem Herzen. Meine Kinder gehen ihren Weg und Maxime macht dank Logopädie gute sprachliche Fortschritte. Er besucht den Sprachheilkindergarten, wo er gut betreut und gefördert wird. Was ich mir jedoch wünsche, sind mehr gute Logopäd*innen , die sich mit Sprachtherapien für Kinder, die mit einer Lippen-Kiefer-Gaumenspalte geboren werden, auskennen. Ich bin dankbar, dass meine Kinder vom guten Gesundheitssystem in der Schweiz profitieren konnten und von zwei ausgezeichneten Chirurgen operiert wurden. Das ist nicht selbstverständlich. Ich denke da an die vielen Kinder, die in ärmeren Ländern mit einer Spalte geboren werden und oft schlechte Überlebenschancen haben. Ich wünschte mir, dass in naher Zukunft keine Kinder mehr aufgrund einer LKGS sterben müssen. Ein weiterer Wunsch von mir ist, dass Gynäkolog*innen schweizweit wissen, wo werdende Mütter nach einer solchen Diagnose Hilfe finden und sie an die richtigen Kontakte vermitteln können. Ich möchte auch, dass weder Kinder mit Lippen-Kiefer-Gaumenspalte noch ihre Eltern stigmatisiert werden. Wörter wie «Hasenscharte» und «Wolfsrachen» sind nicht mehr angebracht. Mit diesem Bericht möchte ich Awareness zum Thema LKGS schaffen. Denn es gibt noch viel zu tun! Gerne trage ich mit meinen Erfahrungen dazu bei und setzte mich mit dem Verein «LKGS Schweiz – gemeinsam stark» für die LKGS betroffenen und ihre Angehörigen ein.