Bericht vom 12. KMSK Wissens-Forum 2025
Seltene Krankheiten bei Kindern
Sarah Thalmann (Co-Präsidentin des Vereins "LKGS Schweiz - gemeinsam stark") besuchte am 28. Februar 2025 das 12. KMSK Wissen-Forum.
Die Tagung zum Thema "Seltene Krankheiten bei Kindern – Der herausfordernde Weg vor und nach der Diagnose" fand im Roche Tower in Basel statt.
Die Medizinische Genetik entwickelt sich rasant weiter und hat in den letzten Jahren enorme Fortschritte gemacht.
Doch mit den neuen Erkenntnissen kommen auch grosse Herausforderungen.
Das KMSK Wissens-Forum brachte Expertinnen und Experten, Betroffene und Interessierte zusammen, um über Diagnose, Therapie und den Umgang mit genetischen Erkrankungen zu sprechen.
Die Komplexität der medizinischen Genetik im Fokus
Prof. Dr. med. Anita Rauch, Präsidentin des Fördervereins für Kinder mit seltenen Krankheiten und Direktorin am Institut für Medizinische Genetik an der Universität Zürich UZH, erklärte, dass die Forschung bereits weit gekommen, aber noch lange nicht am Ziel angekommen ist.
Die Entschlüsselung genetischer Erkrankungen ist komplex und benötigt weitere intensive Forschung.
Trotz grosser Erfolge bleibt noch viel zu tun, um diese Erkenntnisse in effektive Therapien umzusetzen.
Von der Diagnose zur Therapie
Dr. med. Katharina Gasser, General Manager bei Roche Pharma (Schweiz) gab spannende Einblicke in die Entwicklung genetischer Therapien. Sie machte deutlich:
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heute sind wir sehr viel weiter und haben viele Therapien.
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Die Digitalisierung unterstützt Patientinnen und Patienten.
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Früherkennung ist sehr wichtig.
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Von einer Million Substanzen schafft es schlussendlich 1 Wirstoff in die klinische Phase. Das ist sehr kostenintensiv, Rückschläge gehören dazu. Die Patientenrekrutierung ist herausfordernd, vorallem bei seltenen Erkrankungen.
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Das Zusammenspiel der verschiedenen Akteure (Patientenorganisationen, Swissmedic, Bundesamt für Gesundheit, Krankenkassen, Invalidenversicherung, Ärzte und Nurses und Pharmaindustrie) ist wichtig für die Verbesserung der Betreuung der Betroffenen.
Familien auf ihrem neuen Lebensweg begleiten
Manuela Stier, Gründerin und Geschäftsführerin des Fördervereins für Kinder mit seltenen Krankheiten legte dar, wie herausfordernd es für Familien ist, mit einer genetischen Diagnose umzugehen.
Für viele Familien ist es ein grosser Kampf, ernst genommen zu werden und braucht viel Energie.
Eine Umfrage unter betroffenen Familien zeigte:
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Die Vorbereitungen für den Gentest erlebten viele als zermürbend, frustrierend und enorm zeitaufwändig.
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Die Krankenkasse / IV übernahmen bei nur 51% der Befragten die Kosten für den Gentest.
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Die Ungewissheit, wie es weitergeht, ist eine enorme psychische Belastung für die Eltern.
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Viele Familien fühlten sich durch das Umfeld und die Fachpersonen nicht genügend ernstgenommen.
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81% der Befragten fehlte ein optimales Case Management und Informationen.
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Wenn es für die seltene Erkrankung keine entsprechende Geburtsgebrechens-Ziffer gibt, wird sie von der IV nicht übernommen.
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54% der Eltern hat die Diagnose geholfen, sie verstehen die Symptome besser. Doch ohne Diagnose geht der Kampf weiter.
Warum ist die Diagnosestellung so herausfordernd?
Im Podiumstalk kamen verschiedene betroffene Eltern zu Wort.
Zu Beginn fühlt man sich, als stünde man an einem Teich voller Fische, aus denen man die richtigen herausfinden und zuordnen muss. (Anita Rauch)
Der lange Weg zur Diagnose
Seltene Erkrankungen sind oft schwer zu erkennen, da sie kaum erforscht sind und Symptome unspezifisch sein können. Sarah Ronner, Mutter von drei Kindern – alle mit seltenen Krankheiten –, erlebte diesen mühsamen Prozess hautnah.
Ihre Tochter zeigte früh Auffälligkeiten, doch erst nach jahrelanger Suche erhielt sie eine Diagnose für eine Erkrankung, von der weltweit nur fünf Fälle bekannt sind.
Henrik Köhler beschreibt diesen Weg als belastend: Die Vielzahl an Untersuchungen und die Ungewissheit sind anstrengend – zusätzlich bedrückt die Schuldfrage.
Stanko Gobac erlebte die Unsicherheit bereits in der Schwangerschaft: Auffälligkeiten wurden festgestellt, doch konkrete Antworten gab es nicht. Dennoch betont er entschieden: „Unsere Tochter wäre so oder so auf die Welt gekommen – 100 %!“
Schuldfrage und gesellschaftlicher Druck
Viele Eltern ringen mit der Frage nach Verantwortung. Dr. med. Katharina Gasser betont: „Wir können nichts für unsere Gene. Niemand trägt Schuld. Jeder Mensch trägt mindestens vier genetische Defekte in sich, die an die Kinder weitergegeben werden können.“
Doch das Umfeld reagiert oft mit verletzenden Bemerkungen. Sarah Ronner erzählt, dass sie vor der Diagnose als „Helikoptermutter“ belächelt wurde, nur um nach der Diagnose zu hören: „Wären Sie doch früher gekommen!“
Solche Aussagen treffen und verstärken das Gefühl, allein zu sein.
Leben mit der Diagnose – zwischen Erleichterung und Herausforderung
Wenn die Diagnose endlich feststeht, ist das nicht nur ein Schock, sondern auch eine Art Orientierungspunkt. Sarah Ronner beschreibt es so: „Vor der Diagnose fühlt man sich wie eine Nussschale im Sturm. Doch mit der Diagnose weiss man endlich, in welches Schiff man einsteigen kann.“
Doch wie geht man mit den neuen Herausforderungen um? Sarah Ronner kämpft nicht nur für ihre Kinder, sondern auch um als eigenständige Person wahrgenommen zu werden: „Wenn ich ausfalle, fangen wir wieder in der Steinzeit an.“
Prof. Dr. med. Anita Rauch stellt klar, dass es nicht darum geht, ein Leben als „lebenswert oder nicht lebenswert“ einzustufen, sondern darum, die Familie in den Mittelpunkt zu stellen.
Auch Stanko Gobac sieht die Aufgabe nicht nur in der Akzeptanz der Krankheit, sondern darin, das Leben seiner Tochter bestmöglich zu gestalten: „Wir wollen bereit sein, damit Josephine ein lebenswertes, gutes Leben hat.“
Er betont, wie wichtig die Zusammenarbeit mit Fachpersonen ist, um die bestmöglichen Entscheidungen zu treffen.
Was hilft betroffenen Familien?
Ein zentraler Punkt ist der gesellschaftliche Umgang mit seltenen Krankheiten. Dr. med. Katharina Gasser unterstreicht: „Unsere Forschung entscheidet nicht darüber, ob das Leben der Betroffenen lebenswert ist oder nicht.“
Sarah Ronner hebt hervor, wie wichtig Austausch und Bewusstsein sind: „Wenn man darüber spricht, werden die Menschen dankbarer für das, was sie haben. Es schafft Verbundenheit.“
Gleichzeitig betont sie, dass gut gemeinte Ratschläge von Aussenstehenden oft wenig hilfreich sind – was wirklich Kraft gibt, ist ernst genommen und wahrgenommen zu werden.
Fazit: 12. KMSK Wissens-Forum 2025
Das Forum zeigte, wie komplex das Thema Medizinische Genetik ist.
Von der Forschung über die Diagnose bis zur Therapie gibt es noch viele Herausforderungen.
Gleichzeitig wurde klar, dass mehr Aufklärung, bessere Betreuung und eine stärkere Zusammenarbeit aller Beteiligten notwendig sind, um betroffenen Familien zu helfen.
Die Veranstaltung war sehr gut organisiert, fand in einer angenehmen Location statt und bot mit einem feinen Apéro die Möglichkeit zum persönlichen Austausch.
Solche Events sind wichtig, um das Bewusstsein für genetische Erkrankungen zu schärfen und den Betroffenen eine Stimme zu geben.
Bericht: Sarah Thalmann, Co-Präsidentin "LKGS Schweiz - gemeinsam stark"